Der Kläger war als Arbeitnehmer Mitglied des Aufsichtsrats der von der Beklagten von 2010 bis 2017 geführten Aktiengesellschaft (AG). Die AG produzierte Autos auch in Bochum. Der Aufsichtsrat fasste im April 2013 u. a. einen Beschluss zum Tagesordnungspunkt „Status Bochum & Plan der nächsten Schritte”. Der Beschluss ermächtigte den Vorstand, „an der Ausarbeitung und Verhandlung eines Vorschlags im Hinblick auf das Produktionsende in Bochum zu arbeiten” unter Berücksichtigung von Einzelkriterien. Im März 2014 beschloss der Aufsichtsrat die Stilllegung des Werkes Bochum und seine Schließung zum Ende des Jahres 2014. Der Kläger meint, der Beschluss vom April 2013 sei bereits formal nicht wirksam zustande gekommen und deshalb nichtig. Die Aufsichtsratsmitglieder seien zudem unzureichend durch den Vorstand informiert worden. Das LG hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg.

Der Kläger könne auch nach der Werksschließung berechtigterweise die Rechtmäßigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses – und damit auch seine Verantwortlichkeit – klären lassen. Der Beschluss sei jedoch wirksam. Alle Mitglieder des Aufsichtsrates seien zuvor wirksam bestellt worden. Die Bestellung von zwei Aufsichtsratsmitgliedern sei zwar in einer Hauptversammlung erfolgt, in der wegen unterlassener gesetzlich geforderter Mitteilungen (§ 20 AktG) formal keine Aktionärsrechte bestanden hätten. Dieser Bestellungsbeschluss sei jedoch nicht nichtig, sondern nur anfechtbar gewesen. Eine fristgerechte Anfechtung fehle. Die wirksam bestellten Mitglieder hätten auch alle wirksam ihre Stimmen abgegeben. Dies gelte insbesondere für die Stimmabgabe eines Aufsichtsratsmitglieds, die zuvor per E-Mail als pdf mit Unterschrift eingegangen sei. Dem Mitglied sei vorbereitend die sinngemäß und fast wortgleiche Beschlussvorlage übersandt worden. Hinsichtlich dieser habe er seine Stimme abgegeben. Kleine Unterschiede in der Formulierung gegenüber der Beschlussfassung in der Sitzung vom 17.04.2013 seien nicht signifikant und damit unerheblich. Einer qualifizierten Signatur habe es nicht bedurft. Die telefonischen Stimmabgaben zweier weiterer Aufsichtsratsmitglieder seien ebenfalls wirksam. In der Satzung sei dies zwar nicht vorgesehen gewesen. Die beiden Aufsichtsratsmitglieder seien aber als „anwesend” im Protokoll geführt worden. Es sei deshalb davon auszugehen, dass sie an der Aufsichtsratssitzung teilgenommen haben, indem sie während der Sitzungszeit durchgängig per Telefon die Vorgänge der Aufsichtsratssitzung verfolgen konnten. Entsprechend sei eine telefonische Stimmabgabe möglich gewesen. Schließlich sei der Beschluss auch nicht wegen der Verletzung von Informationsrechten unwirksam. Es habe sich allein um einen „vorbereitenden” Beschluss gehandelt. Der Beschluss vom 17.04.2013 sei zwar sicher von großer Bedeutung und stelle eine Weichenstellung dar; er sei aber noch nicht der endgültige Beschluss über die Schließung des Werkes Bochum, so das OLG. Da der Beschluss aber erhebliche Bedeutung hatte, hätten vor der Beschlussfassung Informationspflichten bestanden. Diese seien jedoch ausreichend erfüllt worden. (OLG Frankfurt, Urt. v. 02.05.2019 – 2 U 61/17, Rev. zugelassen)

Fazit: Werden in einer Hauptversammlung, bei der wegen der Verletzung von Mitteilungspflichten keine Aktionärsrechte bestehen (unterlassene Mitteilung über den Anteilsbesitz von mehr als 25 % durch ein Unternehmen § 20 Abs. 7 AktG), Aufsichtsratsmitglieder bestellt, ist der einstimmig gefasste Bestellungsbeschluss zwar anfechtbar, nicht aber nichtig. Stimmabgaben von Aufsichtsratsmitgliedern können bei entsprechender Regelung in der Satzung auch per E-Mail ohne qualifizierte Signatur erfolgen; Teilnehmer, die die Aufsichtsratssitzung telefonisch verfolgen, können als anwesend angesehen werden und telefonisch abstimmen.

01.06.2019

Referat Gesellschaftsrecht

Daniela Freimann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Erbrecht
Fachanwältin für Bank- und Kapitalrecht

© 2021 Dr. Fingerle | Rechtsanwälte | Impressum | Datenschutz